Die alte Mühle

Fantasiereise für Kinder von Volker Friebel

 

Mach es dir bequem und schließ deine Augen …

 

Die alte Mühle ist nicht mehr in Betrieb. Aber das Mühlrad dreht sich immer noch … Das Wasser des Bachs fließt ruhig und klar, die Schaufeln des Mühlrads tauchen fast lautlos ein … und tauchen fast lautlos wieder auf … Die Bewegung des Wassers am Mühlrad sieht jeder … Die Bewegung der Luft am Mühlrad ist fast gar nicht zu sehen …

Wenn einer ganz genau hinschaut, sieht er die Bewegung der Luft vielleicht an einem Stück Flaum, das über dem Mühlrad unruhig wirbelt, bevor es dahinter wieder ruhig durch den Himmel schwebt … Oder jemand spürt den kleinen Luftzug der Bewegung …

Obwohl das Mühlrad Unruhe in das Wasser bringt, bewegt es sich selbst ganz ruhig … Obwohl das Mühlrad Unruhe in die Luft bringt, bewegt es sich selbst ganz ruhig … Die Ruhe des Mühlrads ist in der Ruhe des Himmels … Die Ruhe des Mühlrads ist in der Ruhe des Wassers …

Früher wurde in der Mühle gemahlen … Schwere Säcke voll Korn trug der Müller in die Mühle hinein … Und nach dem Mahlen trug er schwere Säcke voll Mehl zur Mühle hinaus. Ein Wagen fuhr sie zum Bäcker, der dann Brote daraus buk … Das ist viele Jahre her. Heute steht die Mühle verlassen …

Immer wieder trägt der Bach Blätter des Herbstes an der alten Mühle vorbei … Ein paar Blätter haben sich am Mühlrad verfangen … Auf den Schaufeln tauchen die Blätter in das Wasser … und tauchen wieder auf … und reißen sich los und treiben weiter im Bach …

Die Heckenrosen an der Mühle sind lange verblüht … Aber nun leuchtet das Rot von Hagebutten in fast schon kahlen Zweigen … Die Sonne steht nicht mehr so hoch wie im Sommer – aber die Farben sind kräftiger geworden …

Im Wegsaum schimmern Spinnennetze im wilden Gras … An ihren Fäden hat sich Dunst festgesetzt, so sind sie zu sehen … Hier und da treibt ein losgerissener Spinnenfaden durch den Himmel …

Im Himmel kreist ein Bussard … Ab und zu ist sein heller Ruf zu hören … Viele Vögel sind in den Süden geflogen, aber die Mäuse blieben hier – und so blieb auch der Bussard … Hoch über dem Land segelt er hin und späht mit hellwachen Augen auf das Land unter sich …

Die Felder sind abgeerntet … Das Gras der Wiesen ist gemäht … Hier und da flattert noch ein Schmetterling …

Im Acker hockt ein Hase … Seine Ohren sind gespitzt … Er sitzt regungslos … Sein Fell ist vom Braun der Erde kaum zu unterscheiden … In einer Furche des Ackers sitzt er und lauscht hinein in die Stille …

Der Bussard im Himmel ist weitergeflogen, ein Stückchen mit den Wolken … Er spürt die Ruhe und die Kraft in sich … Er spürt die Ruhe und die Kraft überall … Er beginnt einen weiteren Kreis durch den Himmel …

Vielleicht sieht ihn der Schmetterling, der sich auf eine Hagebutte gesetzt hat … Vielleicht hört der Schmetterling den Klang des Wassers und den Klang des Mühlrads im Wasser … Der Schmetterling spürt die Wärme der Sonne … Der Schmetterling spürt die Ruhe und Kraft, die überall sind …

 

Und nun kommt die Fantasiereise langsam zum Ende … Öffne die Augen … Atme tief durch … Reck dich und streck dich …

 

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Die Fantasiereise stammt aus dem Buch: Volker Friebel (2022): Mit Fantasiereisen durch das Jahr. Achtsamkeit, Entspannung und Kreativität für Kinder. Edition Blaue Felder, Tübingen.

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