Das Zwergendorf

Eine Entspannungsgeschichte zur guten Nacht von Volker Friebel

 

Stell dir in Gedanken eine breite Treppe vor, die vor dir beginnt und immer tiefer führt, durch eine schöne Landschaft … Geh langsam die Treppe hinab, Stufe um Stufe … Mit jeder Stufe kann die Ruhe in dir größer werden, Stufe um Stufe … Dein Atem geht, Stufe um Stufe hinab … Du spürst vielleicht, wie dein Atem schon ruhiger und ruhiger wird … Du spürst vielleicht schon die Ruhe in dir … Die Stufen enden auf einem Weg zwischen Feldern …

Mieze erwartet dich. Du gehst zu ihr. Sie schnurrt und lässt sich streicheln …

Ein leichter Wind läuft über das Korn. Wie Wellen bewegen sich seine goldenen Ähren. Eine Schar Spatzen steigt auf, wirft sich hinein in den Wind und flattert zwitschernd davon …

Ihr geht den Weg zu einem Dorf in der Ferne. Links und rechts Felder und Äcker. Am Kürbisacker bleibst du stehen. Wie riesig die Kürbisse sind!

„Daraus macht die Königin gern eine Suppe“, schnurrt Mieze. „Der König mag sie. Ich nicht.“

Am Rand des nächsten Kornfelds blühen Kamille und roter Mohn. In der Blüte des Mohns krabbeln kleine Käfer. Gerade breitet einer seine Flügel aus und fliegt davon. Du schaust ihm nach in den Himmel. Wohin er wohl fliegt? Was wohl sein Ziel sein mag in der weiten Welt?

„Vielleicht hat er gar keines“, schnurrt Mieze. „Vielleicht will er einfach nur fliegen. Wir haben ein Ziel. Wir wollen zum Dorf.“

Ein Schmetterling kreuzt euren Weg und verschwindet im Himmel über dem Kartoffelacker.

‚Menschen gehen immer auf Wegen‘, denkst du. ‚Für Schmetterlinge ist die Welt viel, viel größer. Sie fliegen über alles ringsum hinweg.‘

Am Horizont glüht der Himmel. Die Sonne ist schon untergegangen, die Dämmerung hat eingesetzt. Blinkt da nicht ein erster Stern?

Ihr erreicht die ersten Häuser des Dorfs. Es ist ein Zwergendorf. Alles ist weniger als halb so groß wie zu Hause. Über den Gartenzaun könntest du steigen. Und durch die Haustüre – passt du da überhaupt hinein?

An einem Kaufladen kommt ihr vorbei. Er hat geschlossen. Im Schaufenster siehst du allerlei winzige Waren. Die kleinen Hosen und Hemden: Ob sie deine Kleidergröße hier überhaupt haben? Es wären hier die Kleider eines Riesen.

Die Dorflinde ist eine ganz normale Linde, sogar besonders schön und groß und alt. Aber die Rundbank um sie sieht wie für Zwerge gemacht aus. ‚Weil sie für Zwerge gemacht ist‘, denkst du.

An der Schule kommt ihr vorbei, die nun am Abend verlassen ist. Aus dem Rathaus kommt gerade ein Mann – gerade einmal halb sie groß wie du. Er lüftet seinen Hut und grüßt. Du grüßt zurück. Um Mieze macht er einen weiten Bogen. Sie muss für ihn so groß wie ein Löwe sein.

„Keine Angst“, schnurrt Mieze, als sie deinen Blick bemerkt. „Ich mag Zwerge. Ich fresse sie nicht.“

„Mäuse und Spatzen magst du aber auch“, sagst du misstrauisch. „Und Schmetterlinge“, schnurrt Mieze und leckt sich die Lippen. Gerade flattert einer an euch vorbei in einen Garten.

„Da müssen wir auch hin“, schnurrt Mieze und springt mit einem Satz über den Gartenzaun. Das Tor ist zu eng, so steigst du darüber.

Hinter dem Haus steht ein kleines Fenster weit offen. Ein Zwergenkind liegt mit offenen Augen in seinem Bett. Es sieht müde aus.

„Ich kann nicht schlafen!“, sagt es, als es euch sieht.

„Du musst die Augen schließen, das ist das ganze Geheimnis“, schnurrt Mieze.

„Und denk an etwas Schönes“, sagst du und gibst ihm eine Traummurmel durch das Fenster.

Das Zwergenkind schließt die Augen und räkelt sich. Bald ist es eingeschlafen.

Im Gras der Wiese steht ein Gartenzwerg. Neben ihm liegt eine Traummurmel für dich … Du nimmt sie …

Als du die Augen schließt, bist du zu Hause.

Dein weiches Bett … Wie gut es sich liegt! … Wie wohl du dich in ihm fühlen kannst! …

 

Da liegst du – ganz ruhig. Kannst du die Ruhe in dir spüren? Die Ruhe ist überall in dir … Kannst du spüren, wie schwer du bist? Dein ganzer Körper ist schwer, angenehm schwer … Kannst du spüren, wie warm du bist? Die Wärme strömt durch deinen ganzen Körper. Du bist warm, angenehm warm … Dein Atem geht ein und aus, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein … Du bist ruhig, schwer und warm – ruhig, schwer und warm … Die Ruhe trägt dich in die Nacht, hinein in den Schlaf, in freundliche Träume …

 

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Diese Gutenachtgeschichte stammt aus dem Buch: Volker Friebel (2019): Gutenachtgeschichten vom Wolkenschloss. Entspannungsgeschichten für Kinder. Edition Blaue Felder, Tübingen. Mit Illustrationen.

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