Arne und der Wolf

Eine Entspannungsgeschichte zur guten Nacht von Volker Friebel

 

Stell dir in Gedanken eine breite Treppe vor, die vor dir beginnt und immer tiefer führt, durch eine schöne Landschaft … Geh langsam die Treppe hinab, Stufe um Stufe … Mit jeder Stufe kann die Ruhe in dir größer werden, Stufe um Stufe … Dein Atem geht, Stufe um Stufe hinab … Du spürst vielleicht, wie dein Atem schon ruhiger und ruhiger wird … Du spürst vielleicht schon die Ruhe in dir … Die Stufen enden in einem weiten Wald …

 

Kunigunde hat dich erwartet. Zusammen geht ihr den Weg zwischen hohen Bäumen.

Hier und da fällt Licht zwischen den Schatten der Bäume. Bewegt sich der Schatten, bewegt sich das Licht? Sie spielen miteinander über den Weg …

Ringsum Vogellieder … Ist in der Ferne ein Kuckuck zu hören? … Klopft in der Ferne ein Specht? …

„Ich finde es schön, dass du nicht immer reden musst“, sagt Kunigunde.

„Aber reden ist auch schön!“, sagst du.

„Ja, manchmal.“ Kunigunde lächelt dich an. „Auch lauschen ist schön“, fährt sie fort.

„Ja, manchmal“, sagst nun du.

Kunigunde lacht.

„Hast du schon einmal gelauscht, wie andere reden?“, fragt Kunigunde dann.

„Oft“, sagst du, „jeden Tag selbstverständlich.“

„Ja“, sagt Kunigunde. „Hast du auch schon gelauscht, wie das Wasser redet?“

„Das Wasser hab ich schon oft gehört“, sagst du. „Wenn die Badewanne einläuft oder die Waschmaschine, in der Küche beim Abwasch, am Wasserfall auch – und am Bach.“

„Du hast die Geräusche des Wassers gehört“, sagt Kunigunde. „Aber auch seine Sprache?“

Du schaust sie stumm an.

„Du kannst dem Wasser ganz verschieden lauschen“, sagt Kunigunde. „Und den Liedern der Vögel auch. So, als seien es bloße Geräusche. Oder so, als seien es eigene Sprachen. So, als würde das Wasser sprechen, wenn du ihm lauschst.“

„Aber ich verstehe die Sprache des Wassers oder der Vögel nicht“, sagst du verwirrt. Und überlegst, ob Kunigunde ein Märchen meint, in dem ein Prinz die Sprache der Tiere versteht.

„Das Wasser spricht nicht so, wie die Menschen sprechen“, sagt Kunigunde. „Es ist nicht einfach eine andere Sprache wie es andere Sprachen der Menschen gibt. Das Wasser hat nicht einmal eine Zunge. Aber es redet dennoch. Es redet von seiner Strömung, von den Steinen, über die es fließt, von Felsen, die es umbrandet, es redet sogar vom Sonnenschein und von der Jahreszeit, denn im Winter ist es vielleicht zugefroren und klingt dann ganz anders.“

„Das ist klar“, sagst du.

„So zu lauschen ist nicht einfach. Aber wenn du es kannst, wird die Welt viel weiter und bunter.“

Ihr habt einen kleinen See erreicht. Am Ufer bleibt ihr stehen. „Hallo, Arne, hallo, Wolf“, sagt Kunigunde leise.

Dir gehen die Augen über. An einem Felsblock am Ufer des Sees steht ein Junge. Und neben ihm liegt ein Wolf. Seinen Kopf hat er zwischen die Vorderpfoten gelegt. Er blinzelt euch an.

„Wie freundlich, dass du uns einmal besuchst, meine Königin“, sagt der Junge.

„Wie lange lebt ihr nun schon hier am See“, fragt Kunigunde.

„Zwei Jahre werden es sein“, sagt Arne. „So lange bin ich von den Menschen wieder fort.“

„Arne ist bei den Wölfen aufgewachsen“, wendet sich Kunigunde an dich. „Die Wölfe haben ihn verlassen im Wald gefunden.“

„Und als mich dann bei den Wölfen die Menschen fanden, nehmen die mich mit, und ich kam in eine ihrer Schulen. Jetzt bin ich wieder zurück.“

Die beiden reden noch miteinander. Du aber hast dich zum Wolf gesetzt und streichelst ihn vorsichtig. Er schließt die Augen und schnurrt.

Die Wärme des Fells, das sanfte Schnurren des Wolfs – du spürst, wie du ruhiger wirst. Der Wolf bewegt eine Pfote – und eine Traummurmel taucht auf. Du greifst nach ihr.

Arne und Kunigunde reden noch immer, der Wolf aber schnurrt nur wohlig.

Du schließt die Augen und bist zu Hause.

Dein weiches Bett … Wie gut es sich liegt! … Wie wohl du dich in ihm fühlen kannst! …

 

Da liegst du – ganz ruhig. Kannst du die Ruhe in dir spüren? Die Ruhe ist überall in dir … Kannst du spüren, wie schwer du bist? Dein ganzer Körper ist schwer, angenehm schwer … Kannst du spüren, wie warm du bist? Die Wärme strömt durch deinen ganzen Körper. Du bist warm, angenehm warm … Dein Atem geht ein und aus, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein … Du bist ruhig, schwer und warm – ruhig, schwer und warm … Die Ruhe trägt dich in die Nacht, hinein in den Schlaf, in freundliche Träume …

 

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Diese Gutenachtgeschichte stammt aus dem Buch: Volker Friebel (2019): Gutenachtgeschichten vom Wolkenschloss. Entspannungsgeschichten für Kinder. Edition Blaue Felder, Tübingen. Mit Illustrationen.

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